Wende.Punkte
Einreise in die Prignitz, dreißig Jahre nach der Grenzöffnung
Reflexion
Ob der Ausblick des letzten Soldaten von seinem Grenzturm auf dem Elbdeich in Lenzen so idyllisch war wie auf dem Foto, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Die Aue, die Elbe waren es sicher. Die Grenzanlagen, über welche er aus seinem Turmfenster hinwegsah – ebenso sicher – abweisend, grau und schicksalhaft.
Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!
O-Ton Walter Ulbricht aus dem Jahr 1961, dem Jahr des Mauerbaus in Berlin.
Dafür ist sie dann am Ende recht massiv, ganz besonders hoch und unüberwindlich geworden – für fast 40 Jahre. Für mich eine ganze Kindheit und ein Großteil meiner Jugend. Eins der wenigen Beispiele in der Geschichte der DDR, wo die Parole bescheidener ausfiel als das Ergebnis. Die Mauer wurde eines der größten Bauwerke der ehemaligen DDR, welches ohne Mangel in die Tat umgesetzt wurde. Getreu dem Motto:
Den Sozialismus in seinem Lauf halten weder Ochs’ noch Esel auf.
O-Ton Erich Honecker aus dem Jahr 1989, dem Jahr der Grenzöffnung.
Auf dem Höhbeck standen damals noch zwei Sendemasten. Gartow I und Gartow II. Ich erinnere mich noch gut. In Wittenberge aufgewachsen, habe ich die beiden Masten bei schönem Wetter von unserem Balkon am Neubau gesehen und wusste: »Der steht im Westen«. Niedersachsen, Lüchow-Dannenberg – zum Greifen nah und doch unerreichbar. Bis November 1989.
Zwanzig Jahre später habe ich mich dann zum ersten Mal aufgemacht, die Wende.Punkte zu suchen. Besondere Orte, an denen Geschichte spürbar ist, an denen sowohl die alte wie die neue Zeit ihre Spuren hinterlassen hat. Heute, 30 Jahre später, war es Zeit für eine Nachlese. Was ist geblieben, was ist neues gewachsen? Wo wurde vergangenes bewahrt, wo bewusst geschliffen und korrigiert oder im Bewusstsein einer besonderen Vergangenheit und eines besonderen Ortes etwas neues geschaffen?
Sollte ich in 20 Jahren noch gut genug zu Fuß sein, freue ich mich schon heute, 50 Jahre nach der Grenzöffnung, in die Prignitz einzureisen, über den alten Deich von Gandow nach Lenzen zu laufen und meine Wende.Punkte wieder zu besuchen.
Mit der kleinen, aber feinen Broschur laden wir den Besucher ein, diese Wende.Punkte – geschichtsträchtige Fundorte und Fundstücke, Wegmarken, idyllische Landschaften und Ausstellungen – zu entdecken und die Prignitz dreißig Jahre nach der Grenzöffnung neu zu erleben. Natürlich ist es mit dem vorliegenden Reiseführer auch möglich, die Grenze zu passieren und einen Abstecher ins Wendland zu unternehmen. Einst undenkbar, heute besteigt man einfach eine Elbfähre und ab geht’s ins gelobte Land.
Grenzenlos erwachsen
Sie bastelt an ihren Karrieren, gründet Familien und baut Häuser – die erste Generation von Nachwendekindern in der Prignitz. Manch einer der Jungen war weg, schnupperte in Hamburg oder Berlin Großstadt- und Hochschulluft, kehrt nun ganz bewusst zurück in die Heimat. Andere blieben gleich hier, entschieden sich für Lehrberufe in Handwerk und Handel.
Eins haben sie alle gemeinsam: Sie wurden, anders als ihre Eltern, grenzenlos erwachsen. Hin und wieder aber, im Gespräch, wird die Ostvergangenheit zum Thema. Und hier, in den »Wende.Punkten«.
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit haben wir einen bunten Bilderbogen an Orten der Prignitz zusammengefügt, der die DDR-Geschichte unseres Landkreises am Elbestrom lebendig hält. Teils ganz konkret, zum Anfassen, andernorts als diffuses Gefühl oder dezenter Hinweis. Teils bedrückend, häufig richtig schön nostalgisch, immer aber bewegend.
Gehen Sie auf Entdeckungstour. Oder besser: Fahren Sie mit dem Rad! Wenn Sie bei Ihrem Streifzug durch die Prignitz auf ältere Einheimische treffen – ergreifen Sie Ihre Chance. Fragen Sie, hören Sie zu. Und spüren Sie, was wir hier nun schon 30 Jahre leben: Grenzenlose Freiheit.
Passieren Sie bitte! … und blättern.
Unsere Leistungen für dieses Projekt
© Idee, Konzept, Fotografie, Text, Layout und Umsetzung von Döring & Waesch
Gesamtleistungen für den Tourismusverband Prignitz
Fotografie, Grafikdesign & Druckproduktion, Webdesign / CMS CONTENTA / Programmierung